Fichtner untersucht leitungsgebundenen Wasserstofftransport für Deutschlands Energiewende

Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit von Energieimporten für die Dekarbonisierung und des Potenzials für den Export erneuerbarer Energien aus Ländern mit Überschüssen wurde Fichtner von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beauftragt, verschiedene Transportszenarien für grünen Wasserstoff zu untersuchen. Diese Studie soll helfen, effiziente Wege zu identifizieren, um die Lücke in Deutschland, insbesondere im Bundesland Bayern, zwischen Energiebedarf und lokaler Erzeugung durch Importe zu schließen.

Es ist zu erwarten, dass Deutschland auch in einer immer nachhaltigeren Energiezukunft auf Energieimporte angewiesen sein wird. Dass die benötigten Energiemengen für alle Sektoren nachhaltig im Inland erzeugt werden, erwarten aktuell weder Politik noch Wissenschaft. Daher kommt dem Import nachhaltig erzeugter Energie eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung Deutschlands zu.

Gleichzeitig besteht in Ländern mit hoher Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energien und gleichzeitig niedrigem lokalem Energiebedarf ein erhebliches Exportpotential für nachhaltig erzeugte Energieträger in Verbraucherländer wie Deutschland. Grüner Wasserstoff kann hier als Energieträger die Lücke zwischen Erzeuger und Verbraucher schließen, da er gut speicher- und transportierbar ist.

LEITUNGSGEBUNDENER TRANSPORT VON GASFÖRMIGEM WASSERSTOFF

Wasserstoff kann auf verschiedene Arten und in verschiedenen Formen von einem Ort zum anderen transportiert werden. Je nach Anwendungsfall eignen sich hierfür Pipelines, Schiffe, Züge oder Tanklaster.

Als Projektleiter in der Wasserstoffabteilung von Fichtner beschäftige ich mich regelmäßig mit den großtechnischen Transport-, Verteilungs- und Speicherungstechnologien. Ein wiederkehrendes Thema ist hier insbesondere der Transport per Pipeline und die Umwidmung oder der Neubau von Pipelinetransportsystemen. Beim Pipelinetransport von Wasserstoff handelt es sich in vielen Fällen um die kostengünstigste und effizienteste großtechnische Transportoption von Wasserstoff, die aufgrund vorhandener überregionaler Infrastrukturen schnell die Dekarbonisierung des Energiemarkts unterstützen kann.

Vor diesem Hintergrund durften meine Kollegen und ich im Auftrag der GIZ eine Studie zum leitungsgebundenen Wasserstofftransport zwischen dem nordafrikanischen Land Tunesien, mit seinem großen Potential zur Erzeugung erneuerbarer Energien, und dem Bundesland Bayern durchführen. Finanziert wurde die Studie im Rahmen des Bund-Länder-Programms von dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der Bayerischen Staatskanzlei.

Kern der Studie war die Untersuchung von drei Transportszenarien:

  1. Beimischung von Wasserstoff in das bestehende überregionale Erdgastransportsystem zwischen Tunesien und Deutschland
  2. Umwidmung bestehender Erdgastransportinfrastruktur für den Transport von reinem Wasserstoff (d.h. nicht als Beimischung zu Erdgas)
  3. Neubau von Leitungsinfrastruktur für den Transport von reinem Wasserstoff

Neben dem Aufbereiten technischer Grundlagen zum leitungsgebundenen Gastransport, Aspekten der Wirtschaftlichkeit, der Regulierung und potenzieller Produktionsmengen in Tunesien sowie potenzieller Abnahmemengen in der Zielregion Bayern lag unser Fokus auf den lokalen Gegebenheiten in Tunesien. Hierfür reiste ich mit meinem Kollegen Timo Haasch für einen mehrtägigen Besuch nach Tunesien und erhielt so wertvolle Einsichten von relevanten Stakeholdern der tunesischen Energiewirtschaft.

ERDGASINFRASTRUKTUR ZWISCHEN NORDAFRIKA UND EUROPA BILDET EINEN ETABLIERTEN ENERGIETRANSPORTKORRIDOR

Ein Blick auf die Landkarte und die bestehenden Transportleitungen für Erdgas macht deutlich, dass Tunesien, wie auch andere nordafrikanische Staaten, im internationalen Vergleich über erhebliche geografische und technische Standortvorteile verfügt. So verbinden bereits seit den 1980er Jahren mehrere parallel verlaufende Offshore-Gasleitungen die tunesische Küstenstadt El-Haouaria mit der italienischen Mittelmeerinsel Sizilien. Dadurch können große Mengen algerischen Erdgases kostengünstig per Pipeline aus den Förderregionen über Tunesien nach Süd-Europa exportiert werden. Tunesien kommt dabei die Rolle eines Transitlandes zu, zumal werden zwar Erdgasmengen auch in Tunesien gefördert, jedoch nicht nach Europa weitertransportiert.

Um die transportierte Erdgasmenge ins Verhältnis zu setzen: Die Erdgasmenge, welche im Jahr 2022 über die beschriebene Verbindung zwischen Tunesien und Sizilien nach Europa geliefert wurde, entsprach ungefähr einem Viertel des Erdgasjahresbedarfs in Deutschland im selben Jahr. Entsprechend groß sind die Verdichterstationen in El-Haouaria ausgelegt, welche das Erdgas vor Verlassen des afrikanischen Festlandes auf den erforderlichen Leitungsdruck verdichten, um einen technisch-wirtschaftlich sinnvollen Transport durch das Meer nach Europa zu gewährleisten.

DER LEITUNGSGEBUNDENE TRANSPORT VON REINEM WASSERSTOFF IST WIRTSCHAFTLICH ATTRAKTIV

Auch hier bestätigte sich die typische Erkenntnis, dass auch trotz dieser großen Erdgasvolumina nur relativ geringe Wasserstoffmengen in Form einer Erdgas-Beimischung transportiert werden können. Dies liegt an den auch zukünftig zu erwartenden sehr geringen zulässigen Wasserstoff-Beimischungsraten in das Europäische Erdgas-Transportnetz. Entsprechend fällt das Wasserstoff-Transportpotenzial in einem solchen Szenario vergleichsweise gering aus. Aktuell wird beim Thema Wasserstoff überwiegend in sehr großen Dimensionen gedacht und demnach erscheint diese Transportalternative als ein eher unwahrscheinliches Szenario für den langfristigen Wasserstoffimport aus Tunesien.

Zur Deckung des zukünftig zu erwartenden hohen Wasserstoffbedarfs in der Zielregion Bayern - und auch im Hinblick auf die vermutlich ambitionierten Exportziele Tunesiens - stellt der Transport von reinem Wasserstoff - sowohl technisch als auch wirtschaftlich - das attraktivste Szenario dar. Insbesondere die Tatsache, dass bereits eine Infrastruktur für den leitungsgebundenen Gastransport existiert kann eine große Chance für eine rasche und finanziell attraktive Umsetzung darstellen. Dies beschränkt sich nicht nur auf Tunesien, sondern auf sämtliche Länder, in denen Leitungsabschnitte einer möglichen Transportroute liegen.

Im Rahmen der Eröffnung eines tunesisch-bayerischen Wasserstoff-Hubs in Tunesiens Hauptstadt Tunis erhielten wir die Möglichkeit, die Ergebnisse der Studie einem breiten Publikum vorzustellen und mit Vertretern vieler verschiedener Stakeholder-Gruppen zu diskutieren.

Wasserstoff-Hub-Eröffnungs-Event in Tunis

DIE OPTION DES REINEN WASSERSTOFF-TRANSPORTS VON TUNESIEN BIS NACH BAYERN WIRD BEREITS VORANGETRIEBEN

Überlegungen hierzu werden bereits von Infrastrukturbetreibern in Italien, Österreich und Bayern, sowie potenziellen Erzeugern und Abnehmern angestellt und Absichtserklärungen sind unterzeichnet. Unter dem Namen „SoutH2 Corridor“ soll bis 2030 ein über 3.000 km langer Leitungskorridor zwischen Tunesien und Bayern, über Italien und Österreich, in Betrieb gehen, um bis zu 4 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr aus Nordafrika nach Europa zu importieren. Dabei sollen ca. 70 % der Leitungen auf ehemaligen Erdgas-Transportleitungen basieren.

Die Voraussetzungen, dass Tunesien aufgrund seiner geographischen Nähe und der langjährigen Erfahrung beim leitungsgebundenen Erdgastransport nach Europa eine zentrale Rolle sowohl beim Aufbau einer umfassenden lokalen Wasserstoff-Wirtschaft als auch einer starken überregionalen Energiepartnerschaft zwischen Afrika und Europa spielen kann, sind also gegeben. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie eine Umsetzung der von allen Seiten entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette sehr ambitionierten Pläne konkret angegangen wird. Wir freuen uns darauf, mit den im Rahmen dieses Projekts gewonnenen Erfahrungen die Entwicklung der Wasserstofftransportinfrastruktur zwischen Tunesien und Bayern, aber auch weltweit, weiter mitzugestalten.